![]() »In der Entscheidung gibt es keine Umwege« Adolf Reichwein |
![]() Adolf Reichwein
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"Es müssen
entscheidende Schritte unternommen werden, um das deutsche Volk und die
europäische Kultur zu retten. Es ist tragisch, zu Mitteln greifen
zu müssen, die ich aus meiner ganzen inneren Einstellung heraus ablehne.
Wir werden auch bestenfalls kein eigenes Leben mehr haben, das werden wir
unseren Kindern und der Zukunft des Deutschen Volkes zum Opfer bringen
müssen. Doch um dieser Zukunft willen muß es sein. Es ist schon
sehr, sehr spät, aber noch nicht zu spät."
Adolf
Reichwein, Ende Juni 1944, zitiert von Alfred Valdmanis
- Originaldokument im Reichwein-Archiv. |
Adolf
Reichwein entwickelte und erprobte in reformpädagogischen Modellen,
ebenso wie in der Arbeiter- und Lehrerbildung, neue und richtungsweisende
Bildungsformen.
Er glaubte an die gesellschaftsverändernde Kraft dieser Bildungsarbeit und starb für seine politischen und pädagogischen Überzeugungen. |
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Geboren 1898 in Bad Ems. Als Sohn einer sozialdemokratischen Lehrerfamilie wächst er im hessischen Ober-Rosbach bei Friedberg auf. Wesentliche Prägungen erhält er durch die schulische Arbeit seines Vaters, die "Wandervogelbewegung" und seine Erlebnisse an der Ost- und Westfront im Ersten Weltkrieg. Noch während des Kriegseinsatzes erkennt er unter dem Eindruck seiner Erlebnisse und erster Beschäftigung mit den Ideen Grundtvigs, daß im Nachkriegsdeutschland soziale Umwälzungen auf der Grundlage umfassender reformierter Volksbildung notwendig sein würden und setzt diese Überzeugung in unterschiedlichen beruflichen Aufgaben konsequent als Erwachsenenbildner und Reformpädagoge bis in die Zeit des nationalsozialistischen Regimes um. In den nur rund zwanzig Jahren seines beruflichen Wirkens wird Adolf Reichwein zu einer der führenden Persönlichkeiten der deutschen Erwachsenenbildung. Seine Veröffentlichungen "Das Schaffende Schulvolk" und "Film in der Landschule" zählen noch heute zu den Standardwerken der späten Reformpädagogik bezw. der Medienpädagogik. Reichwein gehört zum Freundeskreis um Helmuth James v. Moltke und beteiligt sich seit Ende den dreißiger Jahre an zahlreichen Gesprächen und zwei offiziellen Treffen des "Kreisauer Kreises", verantwortlich für das kulturpolitische Programm dieser Widerstandsgruppe. Am 4. Juli 1944 wird Reichwein durch die Gestapo verhaftet, am 20. Oktober 1944 vom "Volksgerichtshof" in einem Schauprozeß zum Tode verurteilt und am gleichen Tag in Berlin - Plötzensee hingerichtet. |
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1898 | Adolf Reichwein wird am 3. Oktober in Bad Ems, Bleichstr. 12, als erstes Kind des Volksschullehrers Karl Gottfried Reichwein und seiner Frau Anna Maria geboren. Jüngere Geschwister: Klara ("Kläre",* 1900) und Richard (*1902). Die Vorfahren Karl Gottfried Reichweins waren Bauern aus dem Westerwald. | |
1904 | Karl
Gottfried Reichwein siedelt mit seiner Familie aus der politischen Enge
des wilhelminischen Nobelbades nach Ober-Rosbach
v.d.H. um. Hier hofft der Sozialdemokrat, seine reformpädagogisch
geprägte, von Pestalozzi inspirierte Schularbeit besser verwirklichen
zu können. Seine Schule ist eine einklassige Volksschule und neben
seiner Schularbeit spielt der Lehrer auch die Orgel in der wenige Schritte
vom Schulhaus entfernten Kirche
des Ortes. Adolf ist Schüler seines Vaters und wird so frühzeitig
mit fortschrittlicher Schularbeit vertraut. Er hilft seinem Vater bald
bei schulischen Aktivitäten und vertritt ihn sogar, als dieser später
zum Kriegsdienst eingezogen wird.
Reichwein wird wesentlich geprägt durch den frühen Kontakt mit der Jugendbewegung, insbesondere der Wandervogelbewegung, die in ihrem Streben weg von bürgerlichen und überkommenen Lebensformen Gemeinsamkeiten mit der Reformpädagogik aufweist. Bereits 1906, als Achtjähriger, kommt er zu den Wandervögeln und deren Ideale werden sein ganzes Leben und Wirken begleiten. Er wird 1911 offziell Mitglied in der Ortsgruppe Friedberg und leitet bereits 1913 kleinere Ausflüge. Schon 1916 wird der Schüler als "Führer" der Gruppe verzeichnet. Treffpunkt der Wandervogelgruppe ist das "Nest" im Torturm der Burg Friedberg. |
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1909 | Ab Ostern 1909 besucht er die Realschule in Friedberg(heute: Augustinerschule) bis zur Mittleren Reife. Realschulen waren zu dieser Zeit ein neuer Schultyp, gegenüber dem bis dahin üblichen humanistischen Gymnasium. | |
1914 | Reichwein
verläßt am 14. März die Realschule und wird Schüler
der Oberrealschule in Bad
Nauheim. Im Frühsommer führt er eine Wandervogelgruppe nach
Hamburg und Helgoland, im Juli nach Holland.
Er meldet sich als Kriegsfreiwilliger, wird aber wegen seines jugendlichen Alters zurückgestellt. |
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1915 | Abschluß der Schulausbildung mit der Primareife am 9. März. Autodidaktische Vorbereitung auf das Abitur. | |
1916 | Reichwein meldet sich erneut als Kriegsfreiwilliger und absolviert eine Kriegsausbildung von November bis Ende März 1917. Am 16. November wird er eingezogen | |
1917 | Externen-Reifeprüfung am 9. Februar an der Oberrealschule in Friedberg, anschließend Kriegseinsatz, ab 1. April zunächst in Polen. Seine Abordnung ab Mai nach Frankreich wird erst ab 1. August umgesetzt, da er wegen Verdachts auf Diphterie bis Ende Juni im Lazarett verbringt. Zunächst in der Etappe der 7. Kompanie des Res. Inf. Reg. 80 in der Nähe von Menil Lepinois/ Champagne. Im Oktober verlegt nach Laon. Bereits am 5. Dezember wird er bei Cambrai, vor Moeuvres, beim Sturm auf die "Siegfriedsstellungen" und nur 14 Tage nach der verheerenden Panzerschlacht, als Gefreiter und Führer eines Stoßtrupps schwer verwundet. Sein Freund Ernst Fraenkel, der später als Jurist und Politologe bekannt wurde, rettete ihm das Leben. | ![]() |
1918 | Noch im Lazarett, immatrikuliert sich Reichwein an der Philosophischen Fakultät der Universität Frankfurt am Main, um ein Studium Generale ( in den Fächern Geschichte, Kunstgeschichte, Germanistik, Philosophie und Nationalökonomie) zu beginnen. Er studiert u.a. , (wie Ernst Fraenkel und Carlo Schmid), bei Hugo Sinzheimer ("Vater des Arbeitsrechts" und Begründer der von Eugen Rosenstock-Huessy geleitete Akademie der Arbeit in der Universität Frankfurt am Main) und (wie Ludwig Erhard) bei Franz Oppenheimer (dem Schöpfer des „liberalen Sozialismus“). Sein Ziel ist die Arbeit in der Erwachsenenbildung, denn er erkennt, daß im Nachkriegsdeutschland soziale Reformen notwendig sein würden, die auf einer grundlegenden Reform der Volksbildung basieren mußten. Er studiert vier Semester und zwei Frühjahrs-Zwischensemester für Kriegsteilnehmer. | |
1919 | Am
1. Februar endgültige Entlassung aus dem Lazarett. Im April
Besuch eines Volkshochschulkurses in Darmstadt, wo er die Methode der "Arbeitsgemeinschaften"
kennenlernt.
Pfingsten Teilnahme an der von Martin Buber initiierten Tagung "Erneuerung des Bildungswesens" in Heppenheim" Hier bereits Bekanntschaft mit Robert v. Erdberg. In den Sommersemesterferien arbeitet Reichwein als Grubenarbeiter im Ober-Rosbacher Bergwerk. |
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1920 | Er
verläßt die Frankfurter Universität und immatrikuliert
sich im Mai in Marburg, wo er zwei Semester studiert. Prominente
Lehrer hier sind Paul
Natorp und Nicolai
Hartmann und der Historiker,Literaturkritiker und Stefan-George-Anhänger
Friedrich Wolters.
Reichwein ist aktives Mitglied der jugendbewegt und hochschulreformerisch orientierten studentischen "Akademischen Vereinigung Marburg", in der viele ehemalige Wandervögel mitwirken. Freundschaft mit Robert v. Erdberg und Hannes Bohnenkamp. Er heiratet Eva Hillmann, die er in der Frankfurter Wandervogelgruppe Sachsenhausen kennengelernt hat. |
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1921 | Abschluß
des Studiums im März, mündliche Doktorprüfung im Mai. Thema
seiner Dissertation: "China und Europa im 18. Jahrhundert".Promotionsurkunde. Im August/September leitet er eine vierwöchentliche Arbeitsgemeinschaft von Studenten und Jungarbeitern in Bodenrod, zu der er in einem Aufruf in der Zeitschrift der AVM "Ockershäuser Blätter". Er wird durch seine Berichte über diese Veranstaltung in Fachpublikationen erstmals in Kreisen der Erwachsenenbildung bekannt. Anschließend wird er auf Anregung Robert von Erdbergs Geschäftsführer des Ausschusses der deutschen Volksbildungsvereinigungen in Berlin. Er hat dieses Amt bis März 1923 inne. Mitarbeit bei der von Hermann Hesse herausgegebenen Zeitschrift "Vivos Voco". |
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1922 | Reisen nach Ost- und Westpreußen, Aktivitäten für Jugendschutzgesetze und gegen die sog. "Schundliteratur". | ![]() |
1923 | Im Februar Promotion zum Dr. Phil. in Marburg, dann Geschäftsführer der Mittelstelle Nord-Ost des "Deutschen Zentralausschusses für Auslandshilfe, Ausschuß für Kinderspeisung" (Quäker-Speisung) in Berlin. Seine Dissertation erscheint als Verlagsveröffentlichung. Seit Juli Mitarbeiter der "Sozialistischen Monatshefte". Im Oktober geht er nach Jena und wird (auf Vorschlag von Wilhelm Flitner) Geschäftsführer der überörtlichen Koordinierungsstelle "Volkshochschule Thüringen". Geplante Übernahme der Schriftleitung von "Vicos voco" kommt nicht zustande. Sein Einsatz gilt der Bildung der jungen Arbeiterschaft, er organisiert Tagungen und Treffen zur Weiterbildung von Volkshochschul- und Berufsschullehrern. Kontakt mit Romano Guardini. Geburt seines Sohnes Gert. | ![]() |
1924 | Veröffentlichung "Rohstoffe der Erde im Bereiche der Wirtschaft" | ![]() |
1925 | Im
März erkrankt Reichwein schwer an Diphterie und wird zu einer mehrwöchentlichen
Unterbrechung seiner Arbeit gezwungen.
Sein Sohn stirbt im September durch einen Unfall. Ab 1. Oktober leitet Adolf Reichwein die 1919 von Wilhelm Flitner gegründete Volkshochschule in Jena, die bereits zu Flitners Zeit von der Carl-Zeiss-Stiftung unterstützt wurde. 70% der 2.000-3.000 Kursteilnehmer im Jahr stammen aus der Industriearbeiterschaft. Reichwein nutzt die Möglichkeiten der Volks- und Arbeiterbildung. Er ersetzt Vorträge durch Arbeitsgemeinschaften in kleineren Gruppen, verlagert den Schwerpunkt der Kurse auf aktuelle und wirtschaftliche Fragen. "Probleme des Achtstundentages", "Genossenschaftswesen" und "Wirtschaftsdemokratie" sind bevorzugte Themen. Für die proletarische Arbeiterjugend fühlt sich Reichwein besonders verantwortlich und veranstaltet jeden Samstag sportliche Übungen - er bringt ihnen das noch relativ unbekannte Schlittschuhlaufen bei - mit anschließenden Seminaren zur Wirtschaft Mitteldeutschlands. Die Einheit von Lernen, Arbeit, Leben und Erleben, ein Konzept, das Reichweins gesamtes Leben begleitet, kommt in ihren Grundlagen bereits aus der Wandervogelbewegung, wie auch das Einbinden musischer und sportlicher Elemente. Das wird hier in Jena von Reichwein in die Praxis umgesetzt. Er wird dieser Linie später in Halle, ebenso wie in Tiefensee und als Museumspädagoge, weiter konsequent folgen. Adolf Reichwein lernt in seiner Jenaer Zeit nicht nur den Reformpädagogen Peter Petersen ("Jena-Plan") kennen, sondern auch Otto Haase (später Leiter der Pädagogischen Akademien Frankfurt/Oder und Elbing), durch den er mit der Unterrichtsform des "Vorhabens" vertraut wird. |
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1926 | Im
Frühjahr trennen sich Eva und Adolf Reichwein.
Er gründet mit Hilfe der Carl-Zeiss-Stiftung das Jungarbeiterwohnheim am Beuthenberg, dessen Leiter er wird. Gemeinsam mit 12 Jungarbeitern wird er Bewohner des Hauses. Erster Heimlehrgang bis 1927 mit dem Abschluß einer Englandfahrt, die von seinem Vertreter begleitet wird, da Reichwein selbst eine Forschungsreise unternimmt. Er bereist im Mai/Juni für vier Wochen England und bricht danach, im Juli zu einer einjährigen Forschungsreise auf. Diese Weltreise, z.T. finanziert von der "Notgemeinschaft der Deutschen Wissenschaft" (heute DFG), sollte wissenschaftlichen Zwecken dienen, etwa der Vertiefung seiner weltwirtschaftlichen Studien. Die Reise beginnt Mitte August in New York, ausgerüstet mit einem eigens zu diesem Zweck umgebauten Ford Modell T. Er durchquert die USA von der Ost- bis zur Westküste und kommt schließlich trotz zweier schwerer Autounfälle in Seattle an, bereist dann Westkanada und Alaska. Im
Dezember 1926 ist er wieder in Seattle zurück, heuert als Matrose
auf einem amerikanischen Passagierschiff
an, das in Richtung Ostasien ausläuft und Reichwein nach Japan,
China und auf die die Philippinen führt. |
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1927 | Nach
einen Abstecher nach Kalifornien und Mexico kehrt Reichweinr im Juni 1927
nach Jena zurück und übernimmt wieder die Leitung der Volkshochschule
und des Volksschulheimes. Der zweite Lehrgang am Volksschulheim beginnt
im August.
Seine Ehe wird im November geschieden. |
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1928 | Abschlußfahrt
mit den Teilnehmern des zweiten Lehrgangs durch Dänemark und
Skandinavien mit abenteuerlichem Höhepunkt in Lappland, später
Anlaß zweier Bücher ("Hungermarsch durch Lappland -1941" und
"Wir sind jung und die Welt ist schön -1993"). Nach der Rückkehr
Flugausbildung in Leipzig-Schkeuditz und Kauf eines Sportflugzeuges. Mit
der Klemm
25macht Reichwein bis 1933 zahlreiche abenteuerliche Flüge, der
"fliegende Professor" benutzt sie aber auch, um als Referent schnell zu
Tagungen gelangen zu können. Veröffentlichung seines wissenschaftlichen
Hauptwerkes "Die Rohstoffwirtschaft der Erde" auf der Grundlage seiner
Forschungsreise 1926/27. Er nimmt an den in den Jahren 1928 - 30
von Rosenstock-
Huessyveranstalteten Löwenberger "Arbeitslagern" teil, wo er auch
einige Freunde kennenlernt, die später zum "Kreisauer Kreis" gehören
werden (Moltke, von Trotha, von Einsiedel)
Reichwein wird als "Scout" für die amerikanische Abraham-Lincoln-Stiftung tätig, die 1927 mit amerikanischen Finanzmitteln (Rockefeller) gegründet wurde und bis 1934 bestand und junge deutsche Wissenschaftler förderte. Weitere Informationen hier. |
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1929 | Reichwein
siedelt nach Berlin über. Er bleibt noch bis zum Sommer Leiter der
Volkshochschule in Jena, wird aber bereits im März wissenschaftlicher
Hilfsarbeiter im Preußischen Ministerium für Wissenschaft, Kunst
und Volksbildung. Er übernimmt die Leitung der Pressestelle und ist
ab April persönlicher Referent des Ministers Carl
Heinrich Becker (1876-1933). Mitwirkung am Aufbau der neu enstehenden
"Pädagogischen
Akademien", die zur Ausbildung von Volkshochschullehrern gegründet
werden.
Seit Jahresende Mitarbeit bei der von Paul Tillich und Fritz Klatt herausgegebenen Zeitschrift "Neue Blätter für den Sozialismus". |
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1930 | Im Januar muß Becker vom Amt zurücktreten. Reichwein reicht seinen Rücktritt ein und scheidet im März aus dem Ministerium aus. Ab April Professor für Geschichte und Staatsbürgerkunde an der Pädagogischen Akademie Halle. In diesem Gebäude befindet sich heute das Thomas-Müntzer-Gymnasium. Reichwein wird im Oktober Mitglied der Sozialdemokratischen Partei. Veröffentlichung "Blitzlicht über Amerika", "Erlebnisse mit Tieren und Menschen ..." und "Mexiko erwacht". | ![]() ![]() ![]() |
1932 | Reichwein
engagiert sich für die Umwandlung der "Neuen
Blätter für den Sozialismus" zur "Sozialistischen Aktion"; er wirkt im Beirat der "Neuen Blätter" mit. Er scheint in diesem Jahr auch in Gewerkschaftsfragen engagiert zu sein, als es kurz vor der nationalsozialistischen Machtergreifung einerseits um Bekämpfung der Arbeitslosigkeit geht und darüber nachgedacht wird, die Gewerkschaftsbewegung in Regierungsverantwortung einzubinden. Verbunden andererseits mit einer politischen „Querbewegung“, die unter Beteiligung der Reichswehr (Kurt v. Schleicher), linkem Flügel der Nationalsozialisten (Gregor Strasser) und Gewerkschaftern (Leipart, Stegerwald) den Hitler-Flügel der NSDAP verdrängen wollte. Die Gewerkschafts-Initiative war vermutlich initiiert durch Diskussionen im „Tat-Kreis“, dem auch Carl Rothe und sein Freund Reichwein zugerechnet werden. Auch Walter Pahl, mit dem Reichwein seit seiner Jenaer Zeit in Kontakt steht, ist als Gewerkschaftssekretär des ADGB in diese Planspiele involviert. Reichwein unterhält zu dieser Zeit auch Kontakte zu dem Gewerkschafter Lothar Erdmann, den er im August über Planungen in Schleichers Ministerium zur Verstaatlichung der Montanindustrie und der Banken informierte und zu einer Beteiligung der Gewerkschaften rät. Bei einem politischen Kurs in Prerow vom 21.8.- 3.9. trägt Reichwein auch den o.e.Gedanken einer denkbaren Stärkung des Strasser-Flügels innerhalb der NSDAP vor. Die Gewerkschaftsfrage wird dagegen dort nicht angesprochen. Walter Pahl, der ursprünglich auch in Prerow referieren sollte, hatte abgesagt. Reichwein vertritt den Kreis der Frankfurter Religiösen Sozialisten in dem berühmten Streitgespräch im Oktober auf der Leuchtenburg zur Frage: „Mit oder gegen Marx zur deutschen Nation?“ gegen Wilhelm Rössle vom Tatkreis und Otto Strasser. |
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1933 | Er
heiratet seine Kollegin Rosemarie
Pallat am 1. April.
Das
Personal der als besonders fortschrittlich geltenden "Roten Akademie"
Halle wird, bevor man sie schließt und nach Hirschberg/Schlesien
"verlegt", einer gründlichen Säuberung
unterzogen. Neben dem Großteil seiner Kolleginnen und Kollegen
wird auch Reichwein am
24. April durch den neuen nationalsozialistischen Kultusminister
Rust mit sofortiger Wirkung als "unerwünschter Hochschullehrer"
beurlaubt. |
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1934 | Geburt seiner Tochter Renate. Seine Schule wird zur Versuchsschule der Reichsstelle für den Unterrichtsfilm erklärt. | |
1935 | Endgültige Anstellung in Tiefensee. Berufung zum Beamten auf Lebenszeit. | ![]() |
1936 | Geburt seines Sohnes Roland | ![]() |
1937 | Reichwein veröffentlicht sein schulpädagogisches Hauptwerk "Schaffendes Schulvolk" und "Film in der Landschule" , letzteres mit finanzieller Unterstützung der Reichsstelle. | ![]() |
1938 | Geburt seiner Tochter Kathrin. Es bildet sich ein Freundeskreis um Hellmuth James von Moltke, der sich darüber austauschen will, wie der deutsche Staat und seine Regierung nach Hitler aussehen müßte. Den Kontakt zu Reichwein knüpfte Horst von Einsiedel. Vierwöchige Vortragsreise nach England auf Einladung seines Freundes Rolf Gardiner mit Unterkunft auf dessen Farm Springhead, Fontmell Magna /Dorset. Reichwein referiert in England über das Thema "Ländliches Erziehungswesen in Deutschland". | |
1939 | Reichwein lässt sich im Mai an die Staatlichen Museen Berlin beurlauben und übernimmt das Ressort "Schule und Museum" am Staatlichen Museum für deutsche Volkskunde, im damaligen "Prinzessinnenpalais" unter den Linden beheimatet. Er entwickelt und organisiert vier große Schulausstellungen zu handwerklichen Themen, die er mit schriftlichem Begleitmaterial ausstattet und in Zeitschriftenpublikationen verarbeitet. Zusätzlich veranstaltet er Führungen und Praktika für Lehrer. Er unternimmt mehr als 100 Reisen zu museums- und werkpädagogischen Vorträgen und Kursen. Die Sprache seiner mit der Volkskunde verbundenen Texte kann heutige Leser durchaus irritieren, da sie viele völkische Begriffe enthält, die damals in der deutschen lebensreformerischen und kulturkritischen Volksbildungsbewegeung üblich waren, im Gegensatz zur nationalsozialistischen Sprache aber keinen rassistischen Hintergrund hatten. So dürfte ihm auch am Museum diese Sprache genutz haben, keinen Verdacht bei den Nazis zu erregen. | ![]() |
1940 | Von
nun an regelmäßige Treffen mit v. Moltke und v. Einsiedel u.a.
Alleine die Briefe Helmuth von Moltkes verzeichnen in den Jahren bis 1944 rund 50 Begegnungen zwischen Reichwein und v. Moltke. |
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1941 | Geburt
seiner Tochter Sabine
"Hungermarsch durch Lappland" erscheint als Veröffentlichung. Im Juli erstmals zur Erholung in Kreisau auf dem Gut v. Moltkes. |
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1942 | Zu
Pfingsten Teilnahme an der ersten Tagung des "Kreisauer Kreises"
in Kreisau. Auf dieser Pfingsttagung Vorlage eines Arbeitspapiers Reichweins
zu Schulfragen. Reichwein wird von der Gruppe zeitweise als ein Kandidat
für den Posten des Kultusministers in einer Regierung nach Hitler
gesehen. An der zweiten Tagung im Oktober nimmt Reichwein nicht teil. Er
organisiert zu diesem Zeitpunkt Schulungskurse für Arbeitsdienstführerinnen
in Schrimm/ Reichsgau Wartheland, Multiplikatorinnen für Kurse, die
deutsche Neuansiedler mit Praktiken des deutschen Volkshandwerks vertraut
machen sollen. "Festigung des deutschen Volkstums" nennen das die Nazis
und verstehen darunter etwas ganz anderes als das, was Reichwein in den
vorhergehenden Jahren mit seinen volkshandwerlichen Kursen und dem Werkunterrricht
am Museum bewirken wollte. Hier, im Warthegau machten sich die Nazis seit
1939 schuldig an der Vertreibung und ab 1942 auch Vernichtung hunderttausender
von Polen und Juden, die in das Generalgouvernement in Lager und Gettos
ausgesiedelt wurden, um die ethnischen Verhältnisse vor den Versailler
Verträgen wiederherzustellen. Dieses Geschehen wurde mehr oder weniger
geheim abgewickelt und erst nach dem Kriege in vollem Umfang bekannt.
Reichwein übernimmt diese Schulungsaufgabe, obschon ihn Nazis um diese Arbeit gebeten hatten, wohl in der Überzeugung, mit seinem Fachwissen Positives für die "volksdeutschen" Neuansiedler bewirken zu können. |
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1943 | Seine Wohnung in Berlin-Südende, Seestraße 7 (heute Sohnreystraße, Steglitz), wird bei einem Luftangriff am 23. August zerstört. Die Familie siedelt nach Kreisau über, auf das Gut von Moltkes. Vortragsreisen u.a. an die Ostfront und nach Paris. Pfingsttagung der Kreisauer. | ![]() ![]() |
1944 | Vortragsreise
nach Dänemark. Ostern in Kreisau.
Am 21. Juni kommen York, Leber, Reichwein, Haubach, van Husen, Lukaschek und von Trott zu Solz zur Vorbereitung eines ersten Treffens mit der kommunistischen Widerstandsgruppe Saefkow/Jakob/Bästlein, das am Tag darauf in der Köpenicker Str. 76 stattfindet, zusammen. Es nimmt ein Spitzel, Ernst Rambow, an dieser Besprechung teil, der die Mitglieder an die Gestapo verrät.. Reichwein wird am 4. Juli auf dem S-Bahnhof Berlin-Heerstraße auf dem Wege zu einem zweiten Treffen mit der Gruppe Saefkow durch die Gestapo verhaftet. Einlieferung in die Strafanstalt Brandenburg-Görden, im September in die Lehrter Straße und zum Prozess in die Prinz-Albrecht-Straße. Reichwein wird während der Haft mißhandelt, um ihn zu belastenden Aussagen gegen andere Beteiligte zu zwingen. Am 25. September aus dem Beamtenverhältnis ausgestoßen. Am 20. Oktober findet im Saal des Kammergerichts in Berlin-Schöneberg, Potsdamer Str. 187, ab 8 Uhr die Verhandlung des "Volksgerichtshofs" unter Roland Freisler gegen Reichwein, Leber, Maaß und Dahrendorf statt. Adolf Reichwein, Julius Leber und Hermann Maaß werden zum Tode durch den Strang verurteilt, Dahrendorf zu sieben Jahren Haft. Urteil des "Volksgerichtshofes". Adolf Reichwein wird mit Hermann Maaß am gleichen Tag in die Strafanstalt Berlin-Plötzensee gebracht und dort um 15.40 Uhr im sog. Hinrichtungsschuppen hingerichtet. |
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Der Vollständigkeit halber sei erwähnt, daß Roland Freisler im Frühjahr 1945 bei einem Bombenangriff durch einen Balken erschlagen wurde. Ernst Rambow ist im gleichen Jahr von den Sowjets vehaftet, zum Tode verurteilt und hingerichtet worden. | ||
Anm: Die durch Verknüpfung
zugänglich gemachten Ausschnitte aus Briefen werden zitiert nach:
Adolf Reichwein: Pädagoge und Widerstandskämpfer : ein Lebensbild in Briefen und Dokumenten (1914 - 1944) / Gabriele C. Pallat, Roland Reichwein, Lothar Kunz (Hrsg.). Mit einer Einf. von Peter Steinbach. - Paderborn ; München ; Wien ; Zürich : Schöningh, 1999 (siehe Bibliographie) |
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Hans-Peter Thun |