Meine liebe Romai,
...
Daß meine Gedanken auch immer wieder um das eigene Leben kreisen, brauch ich kaum zu sagen. Aber darüber läßt sich kaum jetzt schreiben, so wohltuend es wäre. Das eine drängt sich bei Überfliegen der Jahrzehnte auf: wie reich und schön diese Zeiten für mich gewesen sind. Das Schwere, etwa des vorigen Krieges, tritt ganz dahinter zurück. Umso stärker strahlt die ländlich gesunde ungebundene Jugend, die 10 Jahre im "Wandervogel" mit den weiten und nahen Fahrten, die Jugendfreundschaften, die glückliche Studentenzeit in Frankfurt und Marburg mit neuen unzertrennlichen Freundschaften, dann das mit Begeisterung erfüllte Berufsleben in der Volksbildung, die seltenen Lebensgeschenke meiner Reisen in Europa, Amerika, Ostasien, die 4 Jahre Fliegen und Welt aus der Vogelperspektive, dazwischen die wissenschaftlichen Arbeiten, die Nächte wie Tage kosteten und schließlich das Schönste und Reichste: die 12 Jahre mit Dir und den Kindern. Wieviel Anlaß dankbar zu sein ...
Dein Edolf
Adolf Reichweins letzter Brief an seinen Vater, geschrieben
am Tage seiner Hinrichtung
Name des Briefschreibers:
Reichwein
Liebe Romai, die Entscheidung
ist gefallen. Zum letzten Male schreibe ich Deinen mir so teuer gewordenen
Namen. In meiner letzten irdischen Stunde sind meine Gedanken noch einmal
mit besonderer Innigkeit bei Dir und den vier Kindern, die Du mir geschenkt
hast und die mir Jahre - die mir viele scheinen - so viel Freude, Aufrichtung
und Erbauung waren.
Diese drei Monate sind für mich trotz aller Qual auch von großer innerer Bedeutung gewesen; sie haben vieles klären und hoffentlich auch läutern helfen, was man gerne in seiner letzten Stunde geklärt und geläutert hat. Ich scheide ruhig, weil ich die Kinder in Deiner Hut weiß. ... Möge Gott Euch stärken, das Schwere zu überwinden und das Leben in Stärke fortzusetzen. Die Kinder, in eine Zukunft hineinwachsend, seien Dir Trost und spätere Freude. ... Dein
Edolf
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