As einem Brief an den Vater vom 15.9.1922

... Wir sind jetzt manchmal mit Kommunisten zusammen gewesen; waren auch neulich bei der kommunistischen Jugenddemonstration, bei welcher Gelegenheit auf dem Heimweg in Charlottenburg von der Polizei ein Junge von 15 Jahren erschossen, vier andere schwer u. eine Anzahl anderer leicht verletzt wurden (z. T. durch Bajonettstiche). Das war für die Schupo meiner Ansicht nach - obwohl die Berichte in der Presse zugunsten der Polizei gefärbt waren - eine sehr peinliche Affäre, da sie ohne Grund provoziert hat. Aber auch solche eigenen Erlebnisse können mich nicht zum Kommunisten bekehren: ich kann nicht glauben, daß man einfach eine neue Kultur durch Umgestaltung der »Verhältnisse« »machen« kann; ich glaube vielmehr, daß Kultur ein Produkt aus überlieferten Werten und neuem Formwillen ist; ich glaube nicht, daß Wissen Religion ersetzen kann, vielmehr scheint mir Religion die ursprünglichste und vollkommenste Form menschlicher Erlebnismöglichkeit zu sein. (Ich könnte mich also am ehesten wohl zur Gruppe der religiösen Sozialisten rechnen; ich empfehle Dir das zweit- oder drittletzte Heft der »Tat« zu besorgen; es ist ein Sonderheft der Religiösen Sozialisten und ist von dem hiesigen K. Mennicke, ehemaligem Pfarrer, den ich kenne, redigiert); außerdem scheint mir Gewalt zur Durchsetzung von Kulturgehalt, der allemal nur wächst, wie Kultur überhaupt ihre Parallelform in der organischen Natur hat, höchst ungeeignet. ...