... Wir sind jetzt
manchmal mit Kommunisten zusammen gewesen; waren auch neulich bei der kommunistischen
Jugenddemonstration, bei welcher Gelegenheit auf dem Heimweg in Charlottenburg
von der Polizei ein Junge von 15 Jahren erschossen, vier andere schwer
u. eine Anzahl anderer leicht verletzt wurden (z. T. durch Bajonettstiche).
Das war für die Schupo meiner Ansicht nach - obwohl die Berichte in
der Presse zugunsten der Polizei gefärbt
waren - eine sehr peinliche Affäre, da sie ohne Grund provoziert hat.
Aber auch solche eigenen Erlebnisse können mich nicht zum Kommunisten
bekehren: ich kann nicht glauben, daß man einfach eine neue Kultur
durch Umgestaltung der »Verhältnisse« »machen«
kann; ich glaube vielmehr, daß Kultur ein Produkt aus überlieferten
Werten und neuem Formwillen ist; ich glaube nicht, daß Wissen Religion
ersetzen kann, vielmehr scheint mir Religion die ursprünglichste und
vollkommenste Form menschlicher Erlebnismöglichkeit zu sein. (Ich
könnte mich also am ehesten wohl zur Gruppe der religiösen Sozialisten
rechnen; ich empfehle Dir das zweit- oder drittletzte Heft der »Tat«
zu besorgen; es ist ein Sonderheft der Religiösen Sozialisten und
ist von dem hiesigen K. Mennicke, ehemaligem Pfarrer, den ich kenne, redigiert);
außerdem scheint mir Gewalt zur Durchsetzung von Kulturgehalt, der
allemal nur wächst, wie Kultur überhaupt ihre Parallelform in
der organischen Natur hat, höchst ungeeignet. ...